Berlin zählt zu den deutschen Städten, in denen die höchsten Feinstaub-Konzentrationen gemessen werden. Eine Messstation hat bereits jetzt den Jahres-Grenzwert von 35 Überschreitungen, die laut EU-Richtlinie erlaubt sind, erreicht.
Statt nun jeden Tag nachzuschauen, wann die Vorgabe aus Brüssel tatsächlich gerissen wird, haben wir eine Software programmiert, die Zeile, Anlauf und Textbausteine teilweise selbst schreibt. Wenn die EU-Vorgaben in Berlin dann überschritten werden – und das steht etwa an einer Messstation in Neukölln unmittelbar bevor – wird die entsprechende Meldung bereits kurz danach auf morgenpost.de/feinstaub veröffentlicht und passt seinen Inhalt und einen entsprechender Teaser automatisch an – ohne Zutun eines Redakteurs.
Bei der Anwendung handelt es sich um eine einfache Form des Roboterjournalismus auf Basis von Sensor-Daten. Mit dieser Art des Datenjournalismus hatten wir noch keinerlei Erfahrung. Es handelt sich um ein Experiment, aus dem wir lernen wollen. Und so sind wir vorgegangen:
Sensordaten von elf Messstationen
Es gibt elf Stationen in Berlin, die Feinstaub-Werte messen. Die jeweiligen Daten werden einerseits vom Umweltbundesamt veröffentlicht, wo sie als csv oder json per Api (Schnittstelle) abgerufen werden können. Die Daten gibt es aber auch bei der Berliner Senatsumweltbehörde, die die Vortags-Daten täglich auf einer Webseite veröffentlicht – zwar lediglich in einer HTML-Tabelle, dafür rückwirkend bis 2008. Daher entschieden wir uns für letztere Quelle.
Die Daten ließen sich relativ leicht scrapen, da jeder Tag in der URL abgebildet ist (z.B. Endung …20140706.html für die Werte des 6. Juli 2014). Um die Daten täglich in unsere eigene Datenbank einzulesen, haben wir einen sogenannten Cronjob eingerichtet, einen Automatismus, der zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Skript ausführt. In unserem Fall werden täglich gegen 14 Uhr die Messdaten in unsere eigene Datenbank geschrieben. Das gibt uns nun auch die Möglichkeit, in unserer eigenen Datenbank zu recherchieren. So zeigte sich, dass es bereits sehr häufig zu Grenzwertüberschreitungen gekommen war. Außerdem fielen uns zahlreiche sehr hohe Werte auf, die im Text dann erklärt werden.
Um die Berlin-Werte deutschlandweit einordnen zu können, werten wir zusätzlich die Messdaten der zehn am meisten belasteten Gegenden Deutschlands aus. Die Daten dafür kommen von der Schnittstelle des Umweltbundesamts. Ein Europa- oder weltweiter Vergleich war nicht möglich, da es (noch) keine vergleichbare Schnittstelle gibt.
Artikelinhalte teilweise automatisieren
Bei Roboterjournalismus handelt es sich laut Datenjournalist Lorenz Matzat „um Software, die in Teilbereichen des Journalismus selbstständig Artikel und Berichte erstellt.“ Umfangreichere Experimente gibt es etwa bei AP: Dort wird etwa damit experimentiert, ganze Meldungen zu Geschäftsberichten zu automatisieren. Auch Spielberichte können teilweise automatisiert erstellt werden. So wird Journalisten automatisierbare Arbeit abgenommen und sie können sich so mehr auf Analysen und Hintergründe konzentrieren.
In unserem Fall haben wir ein Skript programmiert, das bestimmte Sätze ausgibt und anpasst, sobald bestimmte Werte gemessen werden. Allerdings wurde der Großteil des Textes noch selbst geschrieben. So werden signifikante Werte (z.B. Häufigste Überschreitungen) erklärt. Für das Verständnis der nackten Zahlen halfen zahlreiche Gespräche mit dem Umweltbundesamt, der Berliner Senatsumweltbehörde und die Auswertung von Parlamentsanfragen – eine Aufgabe die von keinem Roboter übernommen werden kann. Wir haben versucht, eine gute Mischung aus beiden Herangehensweisen zu finden.
Neben den Feinstaub-Werten haben wir auch Ozon- oder Stickstoffdioxid-Daten in unserer Datenbank und überlegen derzeit weitere Schritte, die Berliner Luft zu überwachen.
Wir freuen uns über Anregungen und Kritik zu unserem Experiment!
+++ Update, 04.10.2014 +++
Am 2. Oktober haben die Station Silbersteinstraße und wenige Tage später weitere Messstationen die EU-Grenze in Berlin gerissen. Besser hätten wir die Funktionalität unseres halbautomatischen Artikels nicht testen können, die Redaktion war nämlich beinahe unbesetzt wegen des Tags der Deutschen Einheit.
So konnten wir die Nachricht auf der Webseite ohne zutun eines Redakteurs auf der Webseite vermelden. Und am Tag darauf entstand ein kleiner Artikel für die Zeitung (siehe Foto). Nun gilt es, die automatisierten Auswertungen noch zu verfeinern.